Wo Hochwasser am meisten Schäden anrichten
In der Schweiz verursachen Hochwasserereignisse immer wieder Schäden in Millionenhöhe. Bund und Kantone wiederum geben jährlich Hunderte von Millionen Franken aus, um Bevölkerung und Sachwerte vor über die Ufer tretenden Seen und Flüsse zu schützen. Dank der Gefahrenkarten der Kantone ist bekannt, wo Überschwemmungen auftreten können. Doch wie viele Gebäude stehen in den Hochwassergefahrengebieten, welchen Wert haben sie, und wie viele Personen leben darin? Schweizweite Antworten zu diesen Fragen fehlten bisher. Das Mobiliar Lab für Naturrisiken des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern hat diese Wissenslücke nun gefüllt und stellt seine Forschungsergebnisse mit einem Webtool Fachleuten und Öffentlichkeit zur Verfügung. Auf www.hochwasserrisiko.ch finden sich interaktive Karten mit der exponierten Bevölkerung und Gebäuden pro Gemeinde, Bezirk und Kanton sowie weitere Informationen zum Projekt.
Grundlagen für effektiven Hochwasserschutz
Die neuen Erkenntnisse tragen dazu bei, die beschränkten Mittel für die Prävention von Naturgefahren zielgerichtet einzusetzen. «Mit den bisherigen Gefahrenkarten wussten wir zwar, wo und wie oft die Gewässer über die Ufer treten. Nun wissen wir endlich auch, wo wie viele Gebäude und Personen davon betroffen sind», sagt Veronika Röthlisberger, Expertin für Hochwasserrisiken am Berner Mobiliar Lab. Dass die Verantwortlichen bei Bund und Kantonen auf solche Grundlagen angewiesen sind, zeigte auch eine Podiumsdiskussion im Rahmen der Veranstaltung «Wo Hochwasser am meisten Schäden anrichten», die das Mobiliar Lab des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung am 02. November durchführte.
Am stärksten gefährdet sind Alpen und Städte
Die Forscherinnen und Forscher haben basierend auf den kantonalen Gefahrenkarten berechnet, wie viele Gebäude und Personen sich in hochwassergefährdeten Gebieten befinden: Bezogen auf die ganze Schweiz sind es 270'000 Gebäude mit einem Neuwert von insgesamt 480 Milliarden Franken – und bewohnt werden sie von gut 1.1 Millionen Personen.
Dabei fällt auf, dass das Wallis, Nidwalden, das St. Galler Rheintal und die Region Burgdorf besonders exponiert sind. Hier gibt es viele Gemeinden, in denen mehr als 80 Prozent der Gebäude gefährdet sind. Betrachtet man den Anteil der Bevölkerung einer Region, die in einem überschwemmungsgefährdeten Gebiet wohnt, stechen zusätzlich die Region Interlaken/Meiringen, das Glarnerland und das Sarganserland als besonders gefährdet ins Auge.
Ein etwas anderes Bild ergibt sich, wenn die Exponierung in absoluten Werten verglichen wird: Klar an der Spitze steht dabei die Stadt Zürich. Hier befinden sich fast 4'000 Gebäude, in denen knapp 80'000 Personen zuhause sind, in gefährdeten Gebieten. Aber auch in den Städten St. Gallen, Sion, Winterthur, Luzern und Biel leben tausende Menschen in Überschwemmungsgebieten. Der Wert der exponierten Gebäude beträgt in jeder dieser Städte mehrere Milliarden Franken.
«Während in vielen Gemeinden im Alpenbogen ein grosser Anteil der Bevölkerung und Gebäude überschwemmungsgefährdet ist, werden die grössten Hochwasserschäden dort verursacht, wo hohe Werte konzentriert sind – nämlich in den Städten», sagt Röthlisberger.
Wieso der Blick über die Gefahrenkarte hinausgehen muss
Der Hochwasserschutz ist heute stark auf die Fragen ausgerichtet, wo, wie häufig und wie viel Wasser fliesst. Diese zentralen Informationen finden sich in den Gefahrenkarten. Die Gefahrenkarten sagen aber nichts über mögliche Schäden aus. Für einen nachhaltigen Hochwasserschutz braucht es zusätzlich Kenntnisse zu den möglichen Schäden: Was kann wo kaputt gehen und wie viele Personen sind betroffen? Bis anhin gab es keine schweizweiten Übersichten zum Schadenpotenzial bei Hochwassern. Solche Übersichten sind aber notwendig, um den Einsatz der beschränkten Präventionsgelder zu optimieren.